Zur Wirtschaftsgeschichte der Stadt Osterode am Harz und der Bleiweissfabrik Schachtrupp am Scheerenberg
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Der durch sein Werk »Das Königreich Hannover, statistisch beschrieben, in Beziehung auf Landwirtschaft, Gewerbe und Handel«, erschienen Hannover 1839, bekannte Verfasser Freiherr Friedrich v. Reden schrieb im Jahre 1834 über die Stadt Osterode am Harz:
»Sie ist die einzige Stadt des Königreichs Hannover, unter deren Erwerbszweigen Fabriken den ersten Platz einnehmen.«
Andere Schriftsteller haben diese Kennzeichnung der Harzstadt als bedeutenden Gewerbe- und Industrieort wiederholt, so etwa August Ey in seinem mit Stahlstichen nach Zeichnungen des bekannten Harzmalers Wilhelm Ripe versehenen »Harzbuch« (Goslar 1855), der Osterode »die einzige bedeutendste Fabrikstadt im Königreich« nannte. Der Aufstieg Osterodes, heute einer Stadt von 17191 Einwohnern am südwestlichen Rande des Harzes, zu einem blühenden Industrieort mit reichen Handelsbeziehungen, war historisch bedingt und durch eine günstige Verkehrslage gegeben. Die Harzflüsse Söse, Lerbach und Apenke fließen hier zusammen. Sie lieferten den Gewerbebetrieben der damaligen Zeit die nötige Wasserkraft. Günstige Straßenverbindungen kreuzten die Stadt nach allen Richtungen, wie die berühmte Königstraße, die in nördlicher Richtung einen Zweig über Herzberg-Osterode-Seesen nach Braunschweig und Hildesheim entsandte oder die alte Harzstraße, die von Goslar über Clausthal nach Osterode führte. Schon im Mittelalter hatten diese Verkehrswege einen bedeutenden Warenverkehr über Osterode geleitet, das sich seit der Begabung mit Goslarer Recht (1293) zu einem wichtigen Marktort im heutigen südhannoverschen Raum entwickelte. Seit dem 15. Jahrhundert war Osterode ein Mittelpunkt des Eisenhandels und ein Vorort für die Eisenbearbeitung an der Oberen Söse. 1460 besaßen Osteroder Bürger am heutigen Scheerenberg, östlich von der Stadt, mit besonderen herzoglichen Vorrechten ausgestattete Eisenhütten. Der Vertrieb von Roheisen, aber auch von Kupfer, Zinn und Blei, war ein nicht zu unterschätzender Faktor im Wirtschaftsleben der Stadt, die die Herzöge von Grubenhagen aus dem welfischen Hause begünstigten. Osterode war auch eine alte Münzstätte, aus der Münzen schon 1290 bezeugt sind. Dazu förderte der Holzreichtum des nahen Harzes, die Wasserkraft der Söse und ein von ihr abgeleiteter Mühlengraben die holzbearbeitenden Gewerbe, wie das noch heute in den Betrieben Krome und Mackensen vorhandene alte Gewerbe der Kleinbinder oder Eimermacher, die schon im 16. Jahrhundert in einer Gilde zusammengeschlossen waren, 1614 nach dem Vorbild Magdeburger Gildeordnungen eine erneuerte Ordnung erhielten und danach 20 bis 25 Meister zählten. Noch im 19. Jahrhundert lieferten die Osteroder Eimermacher insbesondere nach Norddeutschland bei einer für 1833 nachgewiesenen Jahresproduktion von 1600 bis 1800 Schock. Bereits 1402 sind in der Stadt drei Mühlen an der Söse bezeugt, 1442 eine ratseigene Kornmühle, 1528 die erste Sägemühle des Rats. Die nahe gelegenen Gipsberge lieferten für Brennereien und Kalkmühlen schon im 16. Jahrhundert an alle Nachbarstädte Baumaterial. Noch heute sind die Gipsvorkommen bei Osterode die größten der Bundesrepublik.
Die Stadt, die im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Brände zu überstehen hatte, wie den großen Stadtbrand von 1545, der Osterode bis auf wenige Häuser in Asche legte, erholte sich immer wieder rasch. Nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem die Dänen in den Eisenhütten an der Oberen Söse Geschützrohre gießen ließen, wurde 1656 in Osterode ein Bergamt errichtet, zu dem die Hütten von Katzenstein-Petershütte, die dorttige »Schwarze Hütte«, die Hütten von Lauterberg und Elbingerode gehörten. Nagelschmieden, Blankschmieden und eine Zangenhütte entstanden an der »Abgunst« zwischen Söse und Mühlgraben, dem späteren bevorzugten Revier Osteroder Tuchbetriebe. Auch der Eisenhandel mit den Nachbarstädten Göttingen, Hildesheim, Braunschweig, Einbeck und Duderstadt belebte sich neu. Erst 1737 ist der letzte Hochofen der Osterode benachbarten Eisenhütten stillgelegt worden. Er wich einer Pulvermühle, die das für die Sprengungen der Oberharzer Bergwerke benötigte Schwarzpulver herstellte. Im Gewerbeleben Osterodes hat die Neubelebung des Tuchmachergewerbes schon zu Ende des 17. Jahrhunderts eine neue Blüte herbeigeführt. Die alte Zeug- und Raschmachergilde wurde neu begründet und erhielt ein landesherrliches Privileg. 1730 war gut der vierte Teil der Einwohnerschaft Osterodes im Tuchgewerbe beschäftigt. Von 1712 bis 1735 erhöhte sich die Zahl der selbständigen Tuch- und Raschmacher von 17 auf 35, daneben gab es 173 5 noch immer 20 selbständige Leinen- und Drellweber. Noch vor Einführung der Maschinen wurde die Anfertigung von Serge, Chalons und Kamelott durch Handspinnerei betrieben. In der benachbarten »Freiheit«, dem Vorort von Osterode unterhalb der alten Burg, und im Harzort Lerbach suchten zahlreiche Familien in der Hausspinnerei für die Osteroder Unternehmer ihren Broterwerb. Es gab 1793 insgesamt 14 Wollbetriebe bei 263 Stühlen und 652 Beschäftigten in der Stadt. Das älteste Bürgerbuch Osterodes (1600-1772) und die nachfolgenden Neubürgerlisten nennen zahlreiche, aus den benachbarten Orten des gesamten Harzgebietes, aus Thüringen und Brandenburg, aber auch aus Süddeutschland zugewanderte Zeug- und Raschmacher, Meister und Gesellen, daneben Blau- und Schönfärber und die ersten selbständigen Tuchscherer. Die Landesregierung hat an der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt regen Anteil genommen. 1738 beschloß die Stadt unter Förderung der Regierung die Einrichtung eines »Lombards«, einer Leihkasse, nach dem Vorbild gleicher Einrichtungen in Hannover und Göttingen. Sie sollte den Unternehmern Vorschüsse gewähren und ihre Gelder sicher und mit Zinsen anlegen. Da die kriegerischen Ereignisse von 1740 bis 1763 die gewerbliche Entwicklung der Stadt stark zurückdrängten, trat die Leihhauskasse, deren Aktenunterlagen das Osteroder Stadtarchiv besitzt, erst 1769 in Erscheinung. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgte dann ein neuer Aufschwung im Osteroder Tuchgewerbe, der durch das aufkommende Maschinenzeitalter begünstigt wurde. In Holland und in den Rheinknden fanden die Osteroder Fabrikate einen regen Absatz. 1831 kauften die Osteroder Wollzeugfabrikanten nur von inländischen Schäfereien, wobei z.T. auch fabrikeigene Schafherden Wollen lieferten, 2780 Zentner Wolle, die sich auf einen Geldbetrag von mehr als 108000 Talern berechnete. Gefertigt wurden vor allem Friese in allen Farben, Chalons, Serge, Kamelott, Zerkassien, Zephir, Flanell und Tuche aller guten Mittelsorten. Die in diesem als gutem Mitteljahr versandten Fabrikate beliefen sich auf 10000 Stück zu einem Reingewinn von fast 200000 Talern. Die bedeutendsten Tuch- und Zeugwarenfabrikanten der damaligen Jahre waren: die Gebrüder Damerahl, die Firma Gräseler & König, Greve & Uhl, Ludolf Greve, Wilhelm Greve d. Ä., Johann Friedrich Struve, Wilhelm Struve und Schüttler & Schröder. Noch heute sind die Firmen Uhl, Greve & Uhl und Struve als angesehene Tuchbetriebe in der Stadt vorhanden. Die Fabrikherren Schüttler und Schröder, die auch in der Freiheit Betriebe unterhielten, bemühten sich vor allem um ständige Verbesserung der Maschinen. Sie suchten sich auf weiten Reisen, vor allem auch nach England, mit den Fortschritten des Maschinenwesens im Spinnereifach vertraut zu machen und hatten in der Freiheit eine Fabrik errichtet, die vor allem Maschinen für die Wollmanufaktur herstellte. Sie stand mit den Eisenhütten Osterodes und des Harzes in engster Beziehung. Fertige Gußeisenstücke lieferte auch die bekannte Königshütte in Lauterberg. Die Mitwirkung der Osteroder Kaufmannschaft, zusammengeschlossen in der schon im 16. Jahrhundert blühenden Kaufmanns- und Kramergilde, am Gewerbeleben kann bei dem Absatz der Osteroder Fabrikate nicht übersehen werden. Die alten Osteroder Kaufmannsfamilien, die längst auch einen festen Platz im Honoratiorentum und im Rat der Stadt hatten, haben durch Heirat, Versippung untereinander, Erwerb von Haus-und Grundbesitz als führende Kaufmannsschicht den neuen Osteroder Unternehmern Rückhalt und Stütze gegeben. Das beweist auch die Versippung der Familien Öhlmann, Mackenberg, Blume und König, Struve und Greve untereinander. Auch die noch später zu erwähnende Familie Schachtrupp ist hier zu nennen. Noch heute besitzt das Osteroder Stadtarchiv bei den Akten der Kaufmannsgilde aus dem 18. Jahrhundert Tuchproben aus Herstellung, Verkauf und Handel mit einheimischen und ausländischen Tuchen, insbesondere mit englischen und holländisch-flandrischen Tuchen. Enge, sogar familiäre Beziehungen bestanden auch mit den Honoratioren- und Kaufmannsfamilien des benachbarten Tuchortes Göttingen. Die Messen in Frankfurt, Braunschweig und Leipzig dienten der Vertiefung und Erweiterung dieser Beziehungen bei Besuchen Osteroder Kaufleute.
Nicht unerwähnt bleiben darf in der Geschichte des Osteroder Wirtschaftslebens auch der heute noch in Osterode arbeitende einzige Kupferhammer des Harzes und des damaligen Hannover. Ihn erwarb am 1. Januar 1796 Johann Jacob Jörns, der vom Kurfürstlichen Messinghof bei Kassel nach Osterode kam und den alten Hammer, der dem Mühlengraben angeschlossen war, von dem Osteroder Kupferschmiedemeister J. A. Felber erwarb. Schon kurze Zeit nach Begründung des Betriebes war der jährliche Absatz über 200 Zentner. Heute liegt die Leitung des Betriebes in den Händen von Wolfgang Schroeder.
Auch die Errichtung eines großen Kornmagazins an der Söse, die in den Jahren 1719 bis 1722 auf Initiative des Berghauptmanns v. d. Busche erfolgte, brachte die Stadt in rege Beziehungen zum Oberharz. Nach seinem an der Vorderfront angebrachten Leit-Spruch: »Utilitati Hercyniae« diente das Magazin der Versorgung der Oberharzer Bergleute mit Brotgetreide, nachdem schlimme Notzeiten die Notwendigkeit dieses Versorgungsmagazins eindringlich erwiesen hatten. Das in der Goldenen Aue aufgekaufte Brotgetreide wurde an die Knappschaften, auch bei ansteigenden Brotpreisen, zu einem festen Mittelpreis abgegeben und in Eselkarawanen nach Clausthal und Andreasberg über die alte Harzstraße gebracht. Daß die Osteroder Schuhmacher, deren große Zunahme in der Stadt schon zu Ende des 18. Jahrhunderts Osterode beinahe zu einem Schuhmacherort machte, die Oberharzer Bergleute ebenfalls mit festem Schuhwerk versorgten, sei am Rande vermerkt.
Die regen Beziehungen zum Oberharzer Bergbau, die in Osterode nie abbrachen, sollten zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch in besonderer Weise fruchtbar werden. Sie fanden einen beredten Ausdruck in der Begründung eines der bedeutendsten Wirtschaftsunternehmen im südhannoverschen Raum, in der 1812 am Scheerenberg, östlich von Osterode, angelegten großen Bleiweißfabrik der Familie Schachtrupp. Dieses Unternehmen hat den Namen Osterodes als Wirtschaftsstadt über vier Jahrzehnte in ganz Norddeutschland, aber auch in den nordischen Ländern und in Übersee bekannt gemacht.
Auf dem Wege zur vielbesuchten Sösetalsperre erblickt man noch heute an der Straße Osterode-Riefensbeek einen großen Teil der alten Fabrikgebäude, in deren Bereich ein großes Tor führt, das stattliche Herrenhaus und noch einen Teil der ehemals umfangreichen Parkanlagen. Die Gründung des Unternehmens, damals des einzigen im Harz und in Norddeutschland, knüpft sich an den Namen der mit einem Burchard Schachtrupp 1653 nach Osterode aus Lippstadt in Westfalen zugewanderten Familie. Die Schachtrupps saßen schon wenige Jahre nach ihrer Zuwanderung im Rat der Stadt, erwarben durch Heirat Haus- und Grundbesitz und einen sicheren Platz in der alten Kaufmannsschicht der Stadt. Am heutigen Martin-Luther-Platz erhob sich ihr abgebranntes Stammhaus, dem heutigen Kornmarkt und der Marktkirche benachbart. Hier lag das Quartier der alten Kaufmanns- und Ratsfamilien von Osterode. Als Mitglieder der Osteroder Kaufmanns- und Kramergilde nahmen die Schachtrupps regen Anteil am Eisenhandel, am Handel mit in- und ausländischen Produkten und später auch am Tuchhandel. Weitere enge Verbindungen zum Oberharz ergaben sich durch Heiraten, den Erwerb von Hausbesitz in Clausthal und den Erwerb von Kuxen am Oberharzer Berg-bau. Zudem waren die Begründer des Osteroder Unternehmens neben dem Faktor Blum die einzigen Berghandlungsfaktoren der Kgl. Hannoverschen Berghandlung in der Stadt. Diese seit 1714 bestehende Berghandlungsadministration, die dem Hannoverschen Kabinettsministerium direkt unterstand, war für den Vertrieb der Bergbauprodukte eingerichtet worden. Die Faktoren waren die Treuhänder dieser Berghandlung. Aus dem Überschuß, den die Berghandlung beim Verkauf der Bergwaren gegen feste, aber meist mäßige Vergütungspreise erzielte, zog die Regierung bedeutende Gewinne. Die Berghandlung erhielt von den Hütten Halbfabrikate, die sie weiterverkaufte.
Johann Friedrich Schachtrupp (geb. 29. Juli 1773 und gest. 7. Januar 1822 in Osterode) war der Erbauer der 1812 am Scheerenberg begründeten Fabrik. Er hatte schon 1806 mit Versuchen zur Bleiweißherstellung in Scheunengebäuden des Hinterhauses an der Aegidienstraße begonnen. Diese ersten Versuche bezogen sich vor allem auch auf die Verwendung der im Harz in ergiebigem Maße gewonnenen Bleiglötte oder Bleiglätte. Im Verhüttungsprozeß wird bei der Scheidung des Bleies vom Silber, dem sogenannten »Abtreiben«, und bei der dieser Scheidung des Bleis vom Silber vorausgehenden Anreicherung des Silbers mit Hilfe von Zink ein Nebenprodukt, die Glätte, gewonnen. Sie kam für sich in den Handel, konnte aber auch durch neues Schmelzen in Handelsblei oder in Werkblei verwandelt werden. Schon immer war im Harz der Handel mit Blei und Glätte bedeutend gewesen. Die Bleigewinnung war noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts das Hauptbetätigungsfeld des Oberharzer Bergbaus, von ihm hing zeitweilig sogar die Lage des Oberharzer Berghaushaltes entscheidend ab. Der Raum um Clausthal war dabei im Vordergrund der Verhüttung von Silber und Blei.
Man ermißt schnell, daß bei der damaligen Lage des Oberharzer Bergbaus das Schachtruppsche Unternehmen von vornherein Aussicht auf Erfolg hatte. Das neue Werk wurde sofort dem Oberharzer Hüttenwesen angeschlossen und hatte auch begründete Hoffnung auf Absatz seiner Produkte. Zudem lag in Osterode, wie bereits angedeutet, eine Tradition vor, die an diesen Bergbau anknüpfte. In der Nähe des Scheerenbergs lagen ja schon immer Hütten, vor allem die Hütten auf Eisen im Oberen Sösetal. Hier haben die Schachtrupps in der Nähe der Söse, von der noch eigene Abzweige in die Fabrik gelegt wurden, ihre Fabrikgebäude aufgebaut, die bereits 1814 vierzehn Gebäude umfaßten. Ein weithin sichtbarer Blei- und Hagelturm gab der Fabrik das besondere Gepräge. Er wurde später niedergelegt, findet sich aber noch auf alten Stichen und Zeichnungen und auf dem in der Fürstenberger Manufaktur hergestellten Geschirr, auf Tassen und Tellern, die die Fabrikherren gern als Geschenk weitergaben. Das stattliche Herrenhaus umgab ein weiter Park, Wirtschaftsgebäude schlössen sich an. In den zeitgenössischen Beschreibungen der Fabrik, die die Schachtruppsche Bleiweißfabrik das bedeutendste Unternehmen des Harzes nennen, steht meist der hohe Hagelturm im Vordergrund, ähnlich den noch heute im Stadtbild Mündens vorhandenen Türmen. Hier wurde in mächtigen Kübeln das Blei gekocht und präpariert. In noch kochendem Zustande fiel es 112 Fuß herab. In einem eigenen Verhüttungsgebäude wurden Proben der Bleiglätte hergestellt, diese aber auch selbst von den Hütten in Clausthal bezogen und weitergehandelt. Das Bleiweiß selbst wurde auf holländische und englische Art hergestellt. So verarbeitete die Fabrik 1830 1000 Zentner rohe Bleie auf Bleiweiß, Bleizucker, Hagel und Walzblei. Der Hagelturm diente vor allem auch der Blei-und Schrotmunition. Wir wissen bei dem gänzlichen Fehlen persönlicher oder geschäftlicher Aufzeichnungen aus dem Hause Schachtrupp zuwenig von der Art des Fabrik-Verfahrens in der Osteroder Fabrik. Allgemein kann wohl angenommen werden, daß das damals bekannte Schützenbachsche Verfahren zur Anwendung kam. Beschreibungen des Betriebes, die sich jedoch im allgemeinen mehr auf die schöne Lage der Anlage beschränken, lassen jedoch hier und da erkennen, daß Johann Friedrich Schachtrupp und der ihm im Betrieb folgende Sohn eigene Verfahren probierten, die vor allem die Billigkeit des Verfahrens sicherten. Nach gleichen Grundsätzen wie die Osteroder Fabrik arbeitete auch eine später in Quedlinburg errichtete Zweigniederlassung. So rühmt eine Darstellung 1829, daß das »Osteroder Bleiweiß« für die mannigfachsten Zwecke die englischen Fabrikate an Güte und Billigkeit bei weitem übertreffe. Großen Absatz fand das Osteroder Bleiweiß im Ausland, vor allem in Holland. Zwar ging 1818 mit der Einführung des preußischen Zollsystems der Absatz zurück, zumal durch Aufkommen der spanischen Gruben auch die Bleipreise auf dem Markt sanken, noch immer hatten aber die Schachtrupps einen jährlichen Umsatz und Reingewinn von 200000 Talern, dabei wurde auch sehr viel Norddeutschland, namentlich die Kaufmannsschaft der Hanse-Städte, beliefert. Umfangreiche Sendungen gingen auch in die nordischen Länder Europas, nach Übersee, nach Amerika, Asien und Afrika. 1839 wurde eine große Schiffsfracht nach Java und Sumatra geliefert. Im selben Jahre soll die gesamte türkische Flotte mit Osteroder Bleiweiß angestrichen worden sein.
Jeweils in den Hauptkampagnen beschäftigte der Betrieb durchschnittlich 200 Arbeiter. Sie kamen aus Osterode, aus der Freiheit und aus Lerbach. Ein in der Fabrik beschäftigter Büttner verdiente jährlich bis zu 2000 Talern. Die benachbarten Papierfabriken lieferten jährlich für 400-600 Taler Papier, die Töpfer verfertigten in einer eigenen Töpferei jährlich für 100 Taler Töpfe für den Versand. Da der Umgang mit Blei gesundheitsschädigende Wirkungen hat, hatte Johann Friedrich Schachtrupp für freien ärztlichen Beistand, Betreuung mit Arzneimitteln, Fortzahlung des Lohns im Krankheitsfall und für eine eigene Versorgungs- und Alterskasse gesorgt. Weithin bekannt wurde der Betrieb durch die Gestaltung der Freizeit. So besaß der Scheerenberg, wie auch heute noch das Fabrikgelände allgemein heißt, ein eigenes Berghornistenkorps, und die jährlich veranstalteten Bergfeste waren ein Anziehungspunkt für die Osteroder und Oberharzer Bevölkerung. Eine 22 Morgen große Weide diente dicht bei der Fabrik einer großen, mit den bekannten Harzkuhglocken ausgestatteten Herde von Milchkühen, die eigene Landwirtschaft des Hauses besaß umfangreiche Wirtschaftsgebäude. Hirsche, Wildschweine und Rehe waren in einem vielbesuchten Tierpark zu sehen, der ausgedehnte Freipark, der in seinen Umrissen heute noch zu erkennen ist, diente jedermann frei zur Erholung. Unmittelbar hinter dem Scheerenberg scheinen ja heute die nahen Harzberge in die Landschaft hinein, wo heute Eselsplatz, Hasenwinkel und Talsperre ausgedehnte und schöne Spaziergänge durch die nahen Waldreviere nach Lerbach und Lonau gestatten. In der Stadt selbst haben sich die Schachtrupps durch die Anlage der umfangreichen Gebäude und durch einen mit ausländischen Bäumen bestandenen Park für immer einen Namen geschaffen. Er heißt heute noch »Kurpark« und hält die Erinnerung an die Tatsache fest, daß man hier 1857 einen regelrechten Kurbetrieb mit Fichtennadelbädern einrichten wollte. Damals stellten die Besitzer des Scheerenberges ihr schönes Herrenhaus am alten Lindenberg, dem Gelände des heutigen »Kurparks«, dem Bad zur Verfügung. Das Unternehmen scheiterte am fehlenden Grundkapital und dem Widerstand in der Stadt selbst. Es war nicht mehr möglich, die Aktien des Kurbades abzusetzen, zumal die aufkommenden Bäder des Harzes eine große Konkurrenz bildeten. Bauten in Hannover und Göttingen haben das Vorbild für das in klassizistischen Formen mit Freitreppe, Treppenspindel und schönem Festsaal ausgestattetem Herrenhaus gegeben. Der Baumeister der Gebäude ist unbekannt. Kavaliershäuser, Stallungen Remisen und eine gedeckte Reithalle vervollständigen den Gebäudekomplex, der in der Mitte der Stadt heute zu den schönsten Anziehungspunkten Osterodes gehört. Die kost-spielige Liebhaberei einer ausgedehnten Zucht edler Pferde aus englischem Vollblut verschlang viele Summen aus der Privatschatulle des Hauses. Zu den Bewunderern der Anwesen in der Stadt und am Scheerenberg gehörten viele Reisende, Kaufleute, Gelehrte und auch die beiden hannoverschen Könige Ernst August und Georg V., die 1839 und 1865 die Stadt und die Häuser der Schachtrupps besuchten. Ein Besuch der Humboldts, der lange von der Lokalforschung angenommen wurde, ist nicht nachzuweisen. Sicher verbürgt sind auch nicht die Nachrichten über den Besuch Jeromes im Hause Schachtrupp bei Gelegenheit seines bekannten Besuches im Oberharz. Berichte wissen von einem Bad Jeromes in reinem Wein zu erzählen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß Johann Friedrich Schachtrupp einige Bergwerke vor dem Zugriff Jeromes dadurch rettete, daß er sie kurz vor dem Besuch käuflich erwarb.
Mitten heraus aus vielen Plänen hat der Tod am 7. Januar 1822 Johann Friedrich Schachtrupp gerissen, nachdem er schon vorher dem am 24. Dezember 1801 in Osterode geborenen Sohn Johann Georg Wilhelm den Betrieb übergeben hatte. Ihm gelang der weitere Ausbau des Betriebes, doch konnte er ein sich abzeichnendes Ende nicht verhindern. Die große Haushaltsführung und die kostspieligen Liebhabereien hatten große Summen verschlungen. Schon seit 1832 war ein merklicher Rückgang des Absatzes zu verzeichnen. So mußte ein großer Teil der kostbaren Hauseinrichtungen veräußert werden. Aus dem ehemaligen Hausbesitz der Schachtrupps verwahrt das Osteroder Heimatmuseum nur noch wenige Stücke. Der Zusammenbruch des Unternehmens, der noch vor Beginn der eigentlichen Gründer jähre erfolgte, ist wohl aus der Konkurrenz des Auslandes auf dem Bleimarkt zu erklären. Inzwischen hatten sich die Bleihütten in Spanien und Amerika auf dem Markt durchgesetzt, und die englische Bleiweißindustrie beherrschte mit billigeren Erzeugnissen den Markt. So kam 1866 die Walzbleifabrikation auf dem Scheerenberg gänzlich zum Erliegen, 1867 wurde die Herstellung von Hagelblei und Schrotblei eingestellt. Der große Bleiturm wurde niedergelegt. Man hatte schon 1857 fremdes Kapital aufnehmen müssen, um die Fabrikation überhaupt aufrecht halten zu können. Im Jahre 1872 ging dann das Schachtruppsche Unternehmen als »Harzer Bleiwerke«, in eine AG über, bei der die Vorbesitzer mit erheblichem Kapital unter Belassung eines größeren Hypothekendarlehens beteiligt waren. Nachdem 1854 Johann Friedrich Schachtrupp, der Sohn Johann Georg Wilhelms, den Betrieb übernommen, bald aber Osterode verlassen hatte, übernahm 1862 eine Direktion die Firma. Als dann 1879 das den Vorbesitzern gewährte Hypothekendarlehen zurückgezahlt werden mußte, die Beschaffung dieser und neuer Betriebsmittel aber nicht gelang, erfolgte der Zusammenbruch des Unternehmens. Die Schachtruppsche Fabrik ging mit allen Nebenbetrieben in Konkurs. Damit war die Geschichte eines der bedeutendsten Wirtschaftsunternehmen des 19. Jahrhunderts in der Harzstadt abgeschlossen. Weit über Osterode hinaus hatten die Schachtrupps den Ruf der Stadt als bedeutende Gewerbe- und Fabrikstadt festigen können; auch ihre Beziehungen zum In- und Ausland haben die Entwicklung der Osteroder Wirtschaft stark beeinflußt. In der Wirtschaftsgeschichte Osterodes wird die Fabrik Schachtrupp, die weitblickende Unternehmer begründet hatten, immer zu nennen sein. Ihre schönen Häuser sind noch heute eine lebendige Erinnerung an die Zeit des Unternehmens. Am Scheerenberg führen heute die KG Harzer Bleiwerke Hochmann & Wolff die Tradition des alten Schachtruppschen Betriebes, z. T. sogar noch in den alten Gebäuden, zielbewußt weiter.
QUELLEN UND LITERATUR
Urkunden und Akten des Stadtarchivs Osterode, insbes. die Bürgerbücher seit 1600, die Auflassungsbücher des 18. Jahrhunderts, die Stadtrechnungen seit 1621 und die Akten der Kaufmanns- und Kramergilde. Aktenunterlagen des Staatsarchivs Hannover, Hinweise aus dem Archiv des Oberbergamtes Clausthal. Patje, Kurzer Abriß des Fabriken- und Gewerbezustandes in den Braunschweig.-Lüneburg. Landen 1796. - Sonne, Beschreibung des Königreiches Hannover, Bd. 5 (1834). - »Thüringen und der Harz«, Bd. 2 (1840). - Günther, Der Harz 1888. - Zeitschrift des Harzvereins und einzelne Zeitungsaufsätze im Stadtarchiv Osterode. - Renner, Geschichte der Stadt Osterode 1832 (1928). - Festschrift zur 800-Jahr-Feier Osterodes (1952). - W. Treue, Kleine Harzreise in die Vergangenheit und Auf der alten Harzstraße von Goslar nach Osterode (Privatdrucke des Hauses Kellermann, Osterode 1955 u. 1958).
Stammfolge Schachtrupp im »Deutschen Geschlechterbuch« 25 (1913). - Granzin, Die Schachtrupps in Osterode (ungedr. Vortrag vor der »Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft« zu Göttingen 1959).